07.05.2021

Auch 76 Jahre danach bleibt Erinnerung wach

Landrat legt Kranz anlässlich des Kriegsendes 1945 in Gedenkstätte Esterwegen nieder

 

Esterwegen. Zum Gedenken an das Kriegsende am 8. Mai 1945 und der Befreiung vom Nationalsozialismus legte Landrat Marc-André Burgdorf stellvertretend für die Mitglieder des Kreistages und im Gedenken an die Opfer einen Kranz auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers Esterwegen nieder. Die Zeremonie fand wegen der Coronapandemie nur im kleinen Kreis statt. Burgdorf, der zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen ist, wurde vom Leitungsteam der Gedenkstätte, Dr. Sebastian Weitkamp und Martin Koers, begleitet.

 

Auch 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind noch nicht alle persönlichen Schicksale geklärt. Nachfahren von Opfern der NS-Zeit kontaktieren auch immer wieder das Team der Gedenkstätte Esterwegen, mit der Bitte um Informationen. Vor wenigen Wochen war es unter anderen eine Anfrage einer Familie aus Belgien, die Auskunft erbat über Alfred, den Cousin ihres Großvaters, der währende des Kriegs in Belgien verhaftet worden war.

 

Um den Widerstand gegen die deutsche Besatzung zu brechen, befahl das Oberkommando der Wehrmacht Ende 1941, Verdächtige zur Abschreckung bei „Nacht und Nebel“ (NN) spurlos verschwinden zu lassen, um nicht zuletzt Angehörige und Freunde in Angst und Schrecken zu versetzen. Auch der Aufenthaltsort der Gefangenen, das Gerichtsverfahren und ihr weiteres Schicksal sollten geheim bleiben - teilweise bis heute. Etwa 7.000 dieser „NN“-Gefangenen transportierten Wehrmacht und NS-Justiz ab 1942 nach Deutschland. Fast 2.700 von ihnen wurden ab Mai 1943 in den Lagern Esterwegen und Börgermoor untergebracht. Sondergerichte und der Volksgerichtshof übernahmen die Verfahren. Sie verkündeten Haftstrafen und Todesurteile, von denen reichsweit etwa 370 vollstreckt wurden, darunter an 165 Gefangenen aus Esterwegen und Börgermoor. Selbst bei Freispruch oder nach Verbüßung der Haftstrafe wurden die „NN“-Gefangenen nicht freigelassen. Ab Ende 1943 lieferte die Justiz die Gefangenen an die Konzentrationslager aus.

 

Auch über das Schicksal von Alfred hatte die Familie bisher nahezu keine Informationen. Sie ging davon aus, dass er im Konzentrationslager Sachsenhausen umgebracht worden sei. Weitkamp konnte in den Archivbeständen Dokumente zu Alfred finden und auswerten. Alfred kam am 28. Mai 1943 in das Strafgefangenen Esterwegen. Sein Cousin Yves war nur einen Tag zuvor hier angekommen. Verschiedene Listen und Haftbücher halten fest, dass Alfred am 15. Mai 1944 in das Zuchthaus Groß Strehlitz in Schlesien und später am 15. September 1944 mit anderen „NN“-Gefangenen in das Zuchthaus Sonnenburg bei Küstrin (heute Polen) deportiert wurde. Hier fand eine Massenerschießung von Gefangenen in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 auf Befehl von SS und Gestapo statt. Vermutlich wurde auch Alfred bei diesem grausamen Massaker ermordet.

 

Die Familie in Belgien reagierte bewegt und emotional auf diese Nachricht. Sie schrieb der Gedenkstätte: „[…] gerührt habe ich Ihre E-Mail gelesen. Ich danke Ihnen sehr für die ausführlichen Informationen über meinen Verwandten Alfred und wie schön, dass Sie auch noch Informationen zu seinem Cousin Yves gefunden haben! Diese Informationen sind für unsere Familie sehr wertvoll, wir sind Ihnen sehr dankbar. Nochmals vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese Nachforschungen anzustellen. Alles Gute und herzliche Grüße, Florence.“ (Übersetzung aus dem Englischen.)

 

Die Geschichte um Alfred und seine Familie zeigt, dass der Krieg auch 76 Jahre danach nicht vergessen ist und Menschen weiterhin tief bewegt.

 

Bild: Landrat Marc-André Burgdorf (Mitte) legte gemeinsam mit dem Leitungsteam der Gedenkstätte, Dr. Sebastian Weitkamp und Martin Koers (v. l.), zum Gedenken an das Kriegsende am 8. Mai 1945 einen Kranz auf dem Gelände der Gedenkstätte Esterwegen nieder. (Foto: Stiftung Gedenkstätte Esterwegen)