Eine Geschichte von Humanität und Versöhnung
Kreuz aus Lager Esterwegen geht Nachkommen zu – Ehemaliger Gefangener schuf Reliquie
Esterwegen. Verschollen 1943, gefunden 1953, zurückgekehrt 2020 – das Holzkreuz eines Gefangenen aus dem Lager Esterwegen wird zurückgegeben: Als am 10. Oktober 1953 Günther Prengel im Flüchtlingslager Esterwegen die Holzdielen in der Baracke für die Gottesdienste ausbessert, findet er unter den Dielen ein geschnitztes Holzkreuz mit der Gravur „Noel 1943“. Ein Gefangener hatte es im ehemaligen Strafgefangenenlager der NS-Justiz angefertigt. In all den Jahren war es unter der Baracke verborgen geblieben und überstand unbemerkt den Krieg und die erste Nachkriegszeit, als das Lager als Internierungslager der britischen Besatzungsbehörden diente. Im November kehrt das Kreuz nun nach Belgien zu den Nachkommen des Gefangenen zurück, der die christliche Reliquie während seiner Zeit der Internierung geschaffen hatte. Eine Nachbildung des Kreuzes wird in der Gedenkstätte Esterwegen ihren Platz finden.
Günther Prengel war für die evangelisch-lutherische Kirche in der Nachkriegszeit in Mitteldeutschland als Pfarrer tätig gewesen und hatte Jugendarbeit in Leipzig geleistet. Vor den kirchenfeindlichen Repressionen der Stasi war er mit seiner Familie nach Westdeutschland geflüchtet und zunächst im Lager Esterwegen aufgenommen worden. Für die Familie Prengel war das Kreuz in den kommenden Jahrzehnten durch seine Geschichte und seinen Fundort ein besonderer Wegbegleiter. Es steht für den „christlichen Ausdruck des Überlebenswillen“ eines Gefangenen, wie der Sohn Markus Prengel 2020 schrieb.
Nach dem Tod von Günther Prengel gab es Versuche, die Familie des Gefangenen ausfindig zu machen, der das Kreuz 1943 geschaffen hatte. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte Esterwegen konnten die Initialen und die Nummer „1041“ am Kreuz dem belgischen „Nacht- und Nebel“- Gefangenen Henk Verheyen zuordnen. Verheyen war als junger Widerstandskämpfer in Belgien verhaftet worden und erst 1945 nach einer Odyssee durch deutsche Lager und Gefängnisse befreit worden. In der Nachkriegszeit engagierte er sich für die Versöhnung und war bis zu seinem Tode 2019 auch der Gedenkstätte Esterwegen verbunden. Sowohl bei der Eröffnung 2011, als auch bei der Feierstunde 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 2015 hatte er dort als Ehrengast gesprochen.
Die Mitarbeiter der Gedenkstätte Esterwegen konnten den Kontakt zwischen den Familien Prengel und Verheyen herstellen. Die Kinder von Henk Verheyen, ein Sohn und eine Tochter, werden das Kreuz nach fast achtzig Jahren von der Familie Prengel nun in Empfang nehmen - eine fast unglaubliche Geschichte von Humanität und Versöhnung. Wegen der Coronapandemie kann die Übergabe nicht in der Gedenkstätte Esterwegen stattfinden, sondern wird in privatem Rahmen durchgeführt.
Bild: Evelyn Hesse-Prengel und Markus Prengel (r.) werden das Holzkreuz nun an die Nachfahren von Henk Verheyen, dem Schöpfer des Holzkreuzes und ehemaligem Gefangenen des Lagers Esterwegen, übergeben. Eine Nachbildung, die Dr. Sebastian Weitkamp (l.) und Dr. Andrea Kaltofen von der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen entgegen nahmen, bleibt in Esterwegen. (Foto: NOZ)