Verschollene Dokumente wiederentdeckt
Gedenkstätte Esterwegen stößt auf überraschende Quellen zu "Nacht- und Nebelgefangene"
Meppen. Ab 1942 verschleppte das nationalsozialistische Regime mehrere tausend Zivilisten aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Norwegen als so genannte „Nacht- und Nebel-Gefangene“ in deutsche Strafanstalten. Grund war der Verdacht des Widerstands gegen die deutsche Besatzung. Auch fast 70 Jahre nach Kriegsende bleibt diese geheime Aktion rätselhaft und in ihren Zusammenhängen undurchdringlich. Nun sind durch Recherchen der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen verschollen geglaubte Dokumente wieder aufgetaucht. Sie ermöglichen Einblick in die Schicksale und in das von Wehrmacht und deutscher Justiz verübte Unrecht. In die Dauerausstellung der Gedenkstätte Esterwegen mit Schwerpunkt „Nacht- und Nebelgefangene“ sind Dokumente und Erkenntnisse eingeflossen.
Erster Kreisrat Martin Gerenkamp, Dr. Andrea Kaltofen, Geschäftsführerin der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen, sowie Wilfried Wiedemann, u. a. Leiter des Projektes der Neugestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen und ehemaliger Gründungsgeschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, der als Mitglied der Fachkommission der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen die Dauerausstellung mitgestaltet hat, stellten die überraschenden Quellenfunde und ihre Bedeutung vor.
„Bisher war angenommen worden, dass die Dokumente wegen der beabsichtigten Geheimhaltung vor Kriegsende vernichtet worden sind“, erläutert Gerenkamp. Diese Vermutung galt auch für Esterwegen, das 1943/44 mit rund 2700 Gefangenen das größte Lager für „Nacht- und Nebel-Gefangene“ im Deutschen Reich war. Im Zuge von Recherchen zur Geschichte des Lagers war die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem auf die bislang unbekannten Quellen zu den Gefangenen in Esterwegen gestoßen, wo sie seit den 1990er Jahren archiviert werden. Zuvor hatten die Dokumente jahrzehntelang im Zentralarchiv der DDR gelegen. Dort waren sie nur einem begrenztem Benutzerkreis zugänglich gewesen.
„Die Auswertung der Dokumente steht ganz am Anfang“, sagt Wiedemann. Aber schon jetzt sei anhand von Einzelschicksalen der Gefangenen ein genauerer Einblick in das von der Wehrmacht und der deutschen Justiz verübte Unrecht möglich. So zeige sich, dass auch einige Gefangene trotzdem sie freigesprochen worden waren, nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten. Sie wurden an die Geheime Staatspolizei übergeben und gelangten auf diesem Weg in ein Konzentrationslager, wo es nur geringe Überlebenschancen für sie gab. „Die Dokumente zeigen, dass die drei Franzosen Marcel Bollyt, Isaie Bolluyt und Paul Broutta am 8. September 1943 in Esterwegen freigesprochen und am 23. März 1944 ins Konzentrationslager Mauthausen transportiert wurden. Sie kamen dort um“, sagt Wiedemann.
„Diese Beispiele lassen sich weiter fortsetzen und zeigen den Unrechtscharakter dieser Herrschaft in aller Deutlichkeit“, sagt Dr. Kaltofen abschließend.